REWILD BRAZIL - Digitales Tool zur Rettung der Mata Atlântica
Brasiliens Atlantischer Küstenregenwald steht unter Druck. Mit dem Wald drohen viele Pflanzenarten und eine beeindruckende Artenvielfalt zu verschwinden. Ein Projekt der Umweltstiftung Greenpeace entwickelt eine smarte Lösung, um gegenzusteuern.
Im Rücken der Hochhäuser von Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre, erstreckt sich eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt: die Mata Atlântica. In dem tropischen Regenwald an der Ostküste Brasiliens finden sich tausende Tiere und Pflanzen, die es nirgendwo sonst gibt: Seltene Bromelien, Vögel wie der Scharlachsichler, Säugetiere wie das Goldkopflöwenäffchen. Insgesamt, so wird geschätzt, leben hier, im zweitgrößten Regenwaldgebiet Brasiliens, mehr als 2000 Tier- und etwa 20.000 Pflanzenarten. Und unzählige Insekten. Eine schier unglaubliche Artenvielfalt.
Doch die Mata Atlântica ist höchst bedroht. Nur noch zwölf Prozent der ursprünglichen Fläche, die sich einst über weite Teile von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay erstreckte, sind heute noch intakt. Der Rest musste der Landwirtschaft und städtischer Infrastruktur weichen. Übriggeblieben sind oft stark fragmentierte und vom Menschen beeinträchtigte Tropenflächen. Fast 2.000 Arten der Mata Atlântica gelten als bedroht.
Setzlinge heimischer Pflanzen sind rar
Ziel vieler Bürgergruppen und Umweltschutzorganisationen ist es daher, verbliebene Regenwaldflächen zu schützen und die immer noch einzigartige Artenvielfalt der Mata Atlântica zu erhalten. Dazu gehört auch, strategisch bedeutsame Flächen wieder aufzuforsten und zu renaturieren.
Doch vor Ort, in den Gärtnereien und Baumschulen, fehlt es an heimischen Pflanzen, die für den Wiederaufbau dieses artenreichen Ökosystems so dringend gebraucht werden. Zudem mangelt es an wichtigem Wissen, zum Beispiel über die Standortansprüche vieler Pflanzen (Licht- und Bodenansprüche oder Wasserbedarf) und an grundlegendem Produktionswissen. Dabei ist letzteres von besonders hoher Bedeutung. Denn viele Samen tropischer Pflanzen keimen nicht ohne einen Impuls von außen. In der Natur werden diese oft von Tieren gesetzt, die Früchte anbeißen, harte Schalen entfernen oder deren Verdauungssäfte Samen während der oft langen Keimungszeit vor zersetzenden Pilzen schützen. Fehlt solches Wissen, ist es kaum möglich, die Biodiversität der angebotenen Setzlinge zu erhöhen.
Der „Brazilian Plantfinder“
Genau an dieser Stelle setzt der Verein Atlantic Rainforest Rescue Alliance (ARRA) an. „Wir brauchen eine leicht zugängliche Online-Datenbank, über die die Pflanzenarten abgerufen werden können, die für den Erhalt des Ökosystems wichtig sind“, sagt Projektleiterin Katrin Bokelmann. „Pflanzen- und Produktionswissen zu diesen Arten muss schnell und einfach verfügbar sein. Außerdem sollen sich örtliche Akteure miteinander vernetzen können.“ Mit ihrem Verein entwickelt sie deswegen den „Brazilian Plantfinder“, eine Wissens-Plattform, auf der Pflanzenprofile für 600 Schlüsselarten angelegt werden sollen. Denn bisher, so Bokelmann, werde bei Renaturierungs- oder Aufforstungsmaßnahmen vor allem auf wenige schnell wachsende und kostengünstige Pflanzenarten gesetzt. Und das gefährde auf Dauer die Biodiversität.
Zusammenspiel von Flora und Fauna
Im Bundesstaat São Paulo beispielsweise bestehen 50 Prozent der verwendeten Setzlinge aus gerade einmal 35 Baumarten – obwohl die Mata Atlântica tausende verschiedene Arten kennt. Die Folge: Viele Pflanzen, die eine wichtige Schlüsselrolle für das Ökosystem spielen, fehlen. Und ohne sie mangelt es Vögeln, Säugetieren und Insekten an Nahrungsquellen, Unterschlupf, oder einfach einer Blüte zum Bestäuben. Ein Teufelskreis, denn ohne diese Tiere können viele Baumarten wiederum nicht weiterverbreitet werden. Die Artenvielfalt schwindet.
Mit wenigen Klicks wichtiges Pflanzenwissen abrufen
Genau hier will ARRA mit Pflanzenwissen und dem Bekanntmachen heimischer Baum- und Pflanzenarten gegensteuern. Zwar gibt es eine Fülle von Informationen über die Flora und Fauna der Mata Atlântica, diese sind bislang allerdings vor allem in wissenschaftlichen Studien enthalten und nur unter hohem Aufwand zu recherchieren. Der Plantfinder ermöglicht den Zugang mit wenigen Klicks. Über Filterfunktionen lassen sich grundlegende Informationen, wie Aussehen, Pflanzenhöhe, Bodenansprüche oder Sonnenverträglichkeit abrufen. Oder Nahrungs- und Unterschlupfpflanzen für Tierarten finden, die als Samenverbreiter oder Bestäuber eine entscheidende Rolle für den Erhalt des Ökosystems spielen.
Wird die Bekanntheit der Pflanzen gesteigert, so die Hoffnung, wächst auch die Nachfrage bei den Gärtnereien, was wiederum zum Erhalt der Pflanzen beiträgt. Darüber hinaus sollen Pflanzenverkäufer und -abnehmer miteinander vernetzt werden, indem bei jedem Profil auch angezeigt wird, wer diese Pflanze gerade vorrätig hat. Oder wo aktuelle Pflanzentauschevents stattfinden. Aufwändige Recherchen entfallen.
Schulungsvideos zum tropischen Ökosystem
Doch damit noch nicht genug. Um die Funktionsweise des Plantfinders maximal ausschöpfen zu können, soll auch ein Schulungsportal eingerichtet werden. Hier wird nicht nur erklärt, wie das Filtersystem der Plattform am besten einzusetzen ist. In Videos und Blogs soll auch ein grundlegendes Verständnis darüber vermittelt werden, wie das Tropenwaldökosystem funktioniert und was erforderlich ist, um es zu erhalten. Vor allem die großformatigen Tiere spielen hier eine wichtige Rolle, da nur große Mäuler oder Schnäbel große Samen oder Früchte bearbeiten können. Ohne sie könnten sich viele Pflanzenarten, besonders die Baumriesen der oberen Regenwaldetagen nicht reproduzieren, was langfristig Konsequenzen für den gesamten Regenwald hätte. Aufklärung über die Bedeutung der Tierwelt für tropische Ökosysteme ist daher ein zentrales Anliegen des Plantfinders.
Wissen verbreiten und Netzwerke schaffen – das also ist das große Ziel des Brazilian Plantfinders. Er ist damit ein wertvolles Tool, wenn es darum geht, der beeindruckenden Artenvielfalt der Mata Atlântica eine hoffnungsvolle Zukunft zu bereiten.