Angolas Kinderstube für Haie

Angolas Küstengewässer sind durch die kalte Benguela-Meeresströmung aus der Antarktis reich an Nährstoffen und Sauerstoff. Zahlreiche Fische, darunter auch bedrohte Hai- und Rochenarten, tummeln sich hier – ein riesiger Markt für internationale Fangflotten ebenso wie für viele lokale Fischer:innen, die damit ihren Lebensunterhalt finanzieren. Doch durch jahrelange politische Instabilität und fehlende Gesetze gibt es keine Kenntnis über die Bestände, geschweige denn eine Regulation der Fangmengen. Die Folge: Auch unzählige gefährdete Hai- und Rochenarten landen in den Netzen. Die portugiesisch-angolanische Meeresbiologin Ana Lúcia Furtado Soares will das mit ihrem Pilotprojekt in der angolanischen Küstenregion Namibe mit Unterstützung der Umweltstiftung jetzt ändern.

Mit ihrem Piloprojekt will Ana Lúcia Furtado Soares die Grundlage für die zukünftige Fischereiwirtschaft in westafrikanischen Gewässern legen. Foto © Ana Lúcia Furtado Soares

Ana Lúcia Furtado Soares liebt das Meer mit allem, was darin lebt. In Portugal aufgewachsen, reiste sie als Kind oft nach Angola, in die Heimat ihrer Eltern, die in den 80er-Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Europa flüchteten. „Das Meer war damals voller Leben! Ich habe dort jedes Mal so viele und verschiedene Fische und Meerestiere gesehen“, erinnert sie sich begeistert.  

Viele Jahre später kehrte die inzwischen studierte Meeresbiologin nach Angola zurück. Doch hier hatte sich inzwischen vieles verändert. Denn durch die Überfischung der Küstengewässer – sowohl durch die lokale Fischerei, aber auch durch internationale Fangflotten – sind die Fischbestände massiv zurückgegangen. „Bei meinen Besuchen auf Märkten und am Hafen habe ich außerdem festgestellt, dass auch viele der gefangenen Haie und Rochen auf der Roten Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature ̵ IUCN) stehen. Kaum jemand von den angolanischen Fischer:innen wusste, dass fast ein Drittel dieser Knorpelfische vom Aussterben bedroht ist“, berichtet Lúcia. Auch die enorme Bedeutung der Raubfische für das Ökosystem der Meere, sei fast niemanden bekannt.

Unentbehrlich für das marine Gleichgewicht

Haie und Rochen stehen an der Spitze der Nahrungskette und regulieren so die Populationen ihrer Beutetiere – die Voraussetzung für ein natürliches Gleichgewicht im Ökosystem. Wie in einem solchen alles miteinander zusammenhängt, zeigen zum Beispiel Untersuchungen in der Shark Bay, einem Schutzgebiet vor der Westküste Australiens. Hier sorgen die Tigerhaie beispielsweise dafür, dass die dichten Seegraswiesen nicht von Seekühen und Meeresschildkröten weggefressen werden. Auf diese Weise bleiben diese als wichtige Kohlenstoffspeicher und Lebensraum für zahlreiche Arten erhalten.

Verschiedene Forschungsprojekte zeigen zudem, dass Haie ihr Umfeld stabil und widerstandsfähig halten, weil sie auch alte und kranke Tiere jagen und sich zum Teil von Tierkadavern ernähren. Dies wiederum kann den Ausbruch und die Verbreitung von Krankheiten verhindern.

Wichtig für das ökologische Gleichgewicht und trotzdem kaum geschützt: Auch in Angola landen täglich viele verschiedene Hai- und Rochenarten in relativ großer Zahl an. Hier: Ein Großaugen-Drescherhai (Alopias superciliosus) an einer kleinen Anlandestelle in der Region Namibe. Foto © Ana Lúcia Furtado Soares

Pionierarbeit zum Hai-Schutz in Angola

Wie die Lage der Elasmobranchii, so der wissenschaftliche Begriff für die Gruppe der Hai- und Rochenartigen, in Angola genau aussieht, ist bislang vollkommen unerforscht. „Durch die Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkrieges gibt es bislang so gut wie keine Daten über die Fischbestände an Angolas Küste. Niemand weiß, wie viele und welche Arten, welchen Alters überhaupt gefangen werden. Das ist aber nötig, wenn man ein sinnvolles Fischereimanagement etablieren will, mit dem bedrohte Hai-Arten geschützt werden können“, erläutert Lúcia.

Sie hat inzwischen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München eine Promotion begonnen, in der sie den Einfluss der lokalen Fischerei auf die Bestände von Haien und Rochen in Angola untersucht. Zusammen mit Freiwilligen der Namibe University vermisst, beschreibt und fotografiert sie die gefangenen Rochen und Haie in der Region, notiert Koordinaten und entnimmt Gewebeproben, um die Arten per Genanalyse genau zu bestimmen.

Erste Auswertungen zeigen, dass zahlreiche zum Teil stark vom Aussterben bedrohte Arten wie der Große Hammerhai oder der Bogenstirnhammerhai noch in relativ großen Mengen in Angola anlanden, allerdings finden sich unter den gefangenen Arten vor allem Jungtiere. „Die Küstenregion hier ist so etwas wie die Kinderstube für Haie und Rochen. Die schlechte Nachricht: Wenn sie so jung gefangen und getötet werden, haben sie keine eine Chance, sich fortzupflanzen, da sie erst sehr spät geschlechtsreif werden – der Große Hammerhai beispielsweise erst mit acht bis zehn Jahren. Außerdem haben sie relativ wenige Nachkommen, die sie nach langer Tragezeit (neun bis elf Monate) lebend gebären. Damit gehen die Bestände weiter rapide zurück – mit all den negativen Auswirkungen für die Menschen und die Natur.“

Auf Augenhöhe miteinander sprechen

Aus diesem Grund hat sich Lúcia neben ihrer wissenschaftlichen Forschung auch Aufklärungsarbeit auf die Fahnen geschrieben: Leidenschaftlich spricht sie mit den Fischer:innen vor Ort und in Radiosendungen, die in Angola ein wichtiges Kommunikationsmittel sind. Und sie nutzt auch die sozialen Medien wie ihren Instagram-Kanal und Gespräche in Ministerien und Verbänden, um so viel wie möglich auf die Bedeutung der Haie nicht nur für den Meeresschutz, sondern auch für die Menschen aufmerksam zu machen. „Die Fischerei ist die Lebensgrundlage sehr vieler Angolaner:innen. Wir sprechen auf Augenhöhe miteinander, auch weil ich meine Wurzeln hier habe. Mein Ziel ist es, Verständnis für die Bedeutung der Haie und Rochen für das gesamte Ökosystem zu wecken, alternative Fangmethoden aufzuzeigen und so zu ihrem Schutz beizutragen.“

Wie aus dem Kleinen etwas Größeres entstehen kann

Das Projekt, bei dem Lúcia erstmals eine Datengrundlage für nachhaltige Fischerei in Angola schafft und parallel dazu Aufklärung leistet, hat sie Angola Elasmo Project getauft. Es knüpft an das internationale Elasmo Project an, einer Non-Profit-Initiative zum Schutz der Elasmobranchii aus den Vereinigten Emiraten, für das die Meeresbiologin mehrere Jahre tätig war. Die Hai- und Artenschutzorganisation Sharkproject fördert die Pionierarbeit von Lúcia von Beginn an. Und auch die Weltnaturschutzunion IUCN ist an den Ergebnissen sehr interessiert, da Lúcia aktuell in Angola die einzige Person ist, die zu dem Thema arbeitet. Aus diesem Grund wurde sie in die Shark Specialist Group (IUCN SSC) eingeladen, um ihre Daten vorzustellen und ist mittlerweile festes Mitglied in der Gruppe.

„Bei meiner Arbeit hier in Angola geht es zunächst einmal ganz konkret darum, Wissenslücken zu schließen und Dinge praktisch vor Ort zu verbessern“, erläutert Lúcia. „Aber es ist klar, dass das Projekt langfristig angelegt ist. Es soll die Grundlage für die zukünftige Fischereiwirtschaft in westafrikanischen Gewässern legen. Mithilfe der Daten will ich auch die angolanische Regierung davon überzeugen, Schutzmaßnahmen für die Haie zu ergreifen.“

Schutz von Haien global vorantreiben

Greenpeace hat in der Vergangenheit wiederholt vor allem international auf das Schicksal der Haie aufmerksam gemacht. Laut der Roten Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion sind weltweit 31 Prozent aller Haiarten vom Aussterben bedroht (Stand 10/2022). Viele Haie landen als Beifang in den Fischernetzen oder werden bewusst aufgrund des weltweiten Flossen- und Fleischhandels gejagt. Mit dem „Angola Elasmo Project“ unterstützt die Umweltstiftung Greenpeace seit 2023 ein Projekt zum Schutz dieser einzigartigen Knorpelfische mit jährlich rund 13.570 Euro.