Tödliche Geisternetze aus der Nordsee geborgen
In den dunklen Tiefen unserer Ozeane spielen sich täglich Dramen ab, die vermeidbar wären: Herrenlose Fischereinetze, die sich an Hindernissen wie Schiffswracks und Felsen verhakt haben, fangen unkontrolliert weiter Fisch und andere Meerestiere. In die Falle geraten, sterben sie ebenso qualvoll wie sinnlos. Und verendete oder noch zappelnde Opfer locken größere Räuber an, die oft ebenfalls in den Maschen hängen bleiben. Rund 1.000 Wracks sollen allein auf dem Grund der südlichen Nordsee liegen – an vermutlich jedem hängen sogenannte Geisternetze fest.
„Frühjahrsputz“ am Sylter Außenriff
Am 1. Mai 2016 brachen ein Expertenteam und Taucher:innen von Greenpeace und der niederländischen Organisation Ghost Fishing mit der „Arctic Sunrise“ zu einer zehntägigen Nordsee-Tour auf. Im Natura-2000-Schutzgebiet „Sylter Außenriff“ wollen sie Geisternetze bergen. Die Umweltstiftung finanzierte ihre Expedition mit 30.000 Euro. Hauptziel war es, Druck auf die Politik und Fischereiindustrie auszuüben. Die Taucher:innen wurden an drei ausgewählten Wracks wie erwartet fündig. Mühselig schnitten sie verknotete Netze, Taue und Schnüre los und hieven alles per Kran an Bord. Über eine Tonne Fischereimüll kam zusammen. Trotzdem ist das nur ein „Tropfen im Ozean“.
„Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass jährlich 25.000 Netze allein in europäischen Meeren landen“, sagt Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace, der die Bergungsoperation geleitet hat. „Manche gehen versehentlich verloren, andere werden mutwillig auf See entsorgt: kaputt, unbrauchbar, über Bord damit!“ Da die Netze aus Kunststoffen bestehen, lösen sie sich nie ganz auf, sondern zerfallen durch UV-Strahlung, Salzwasser und mechanische Belastungen in immer kleinere Teile, die das Ökosystem weiter bedrohen: „Mikroplastik-Partikel ziehen wie Magnete im Wasser gelöste Umweltgifte an. Je länger sie im Meer verbleiben, umso mehr Schadstoffe binden sie. Tiere verwechseln diese unverdaulichen Teile mit Nahrung. Wissenschaftler:innen fanden Plastik in den Mägen von Seevögeln, Walen, Robben und Fischen, ebenso in Muscheln, Schnecken, Garnelen, Würmern und sogar in Plankton“, so der Meeresexperte.
Gesetze werden nicht umgesetzt
Nach FAO-Angaben gelangen pro Jahr bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere, etwa ein Zehntel davon verursache die Fischerei. Die Kontrollverordnung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU schreibt Fischer:innen vor, ein verlorenes Fanggerät schnellst möglich zu bergen. Gelingt dies nicht, sind sie verpflichtet, den Verlust ihrer zuständigen Behörde zu melden, die sich dann um die Bergung kümmern muss. Zudem müssen stationäre Geräte wie Stellnetze, Langleinen und Fallen gekennzeichnet sein, um sie ihrem Besitzer zuordnen zu können. Die Verordnungen werden aber ungenügend oder gar nicht umgesetzt. Thilo Maack kritisiert, dass Geisternetze noch in keinem Mitgliedsland Europas offiziell erfasst würden.
Auch staatlich organisierte Bergungsoperationen existierten bisher nicht – einzig Norwegen bilde eine Ausnahme. Greenpeace fordert das Bundesfischereiministerium auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und die EU-Regeln zu befolgen. Zudem fordern die Umweltschützer:innen das Nichtmelden von verlorenen Netzen unter Strafe zu stellen. „Netze sollten mit Sendern versehen werden, um sie bei Verlust wiederzufinden“, sagt Maack. „Und die Entsorgung ausrangierter Fanggeräte in den Häfen darf nichts kosten, damit Fischer gar nicht erst auf die Idee kommen, sie illegal über Bord zu werfen.“