Eisbohrkern geborgen: Kostbare Klimadaten im Eis
Ein eisiger Schatz steckt im Untersbergmassiv der Berchtesgadener Alpen: Auf 1570 Metern erstreckt sich die Schellenberger Eishöhle, die einzige in Deutschland, die als Schauhöhle erschlossen ist. Mitglieder des Vereins für Höhlenkunde Schellenberg e.V. führen Besucher in Hallen mit Eisfällen, Eissäulen und weiteren gefrorenen Formationen. Entzündete Magnesium-Bänder erhellen die sonst im Dunkeln liegende Welt aus Fels und Eis und bringen die Kristalle zum Glitzern.
Einblicke in die alpine Klimahistorie
Der Verein beobachtet kontinuierlich den Bestand und Schwund des Eises, und Höhlenforscher der Ruhr-Universität Bochum führen mittels Sensoren im Eis und in den Felswänden seit 2007 Klimamessungen in der Höhle durch. Noch sind die Eismassen im Berg bis zu 30 Meter mächtig, doch der Klimawandel hinterlässt Jahr für Jahr seine Spuren. „Allein in den letzten 20 Jahren sind über zwei Meter weggeschmolzen“, berichtet Wolf-Dieter Förster, Vereinsvorsitzender und studierter Biologe und Chemiker. „Mit jedem Liter Schmelzwasser gehen wertvolle Informationen unwiederbringlich verloren, denn das zum Teil Jahrtausende alte Eis stellt ein hervorragendes Klimaarchiv dar." Antikes Eis aus Eishöhlen ist für Klimaforscher besonders interessant, da sich solche Höhlen im Vergleich zu Gletschern auch nahe menschlicher Siedlungen befinden. Das Herausragende an der Höhle in Schellenberg ist zudem ihre Gebirgslage zwischen Waldzone, in der man Baumringe analysieren kann, und Gletscherzone, deren Eis man untersuchen kann. Zu solchen Lagen existieren bisher kaum historische Daten.
Eingeschlossene Sedimente und Pflanzenreste können Informationen zur Klima- und Vegetationsgeschichte der Region liefern. 2013 wurde im Eis der Höhle bereits ein Blatt entdeckt, das über 1.400 Jahr alt ist. Das machte Hoffnung auf mehr! Der Höhlenverein plant daher in Kooperation mit den Universitäten Bochum, Mailand-Bicocca und Triest, Eisbohrkerne zu entnehmen und untersuchen zu lassen. Da die Klimaforschung neben anderen Disziplinen die Wissensbasis für politische Entscheidungen zum globalen Klimaschutz bilden, entschied die Umweltstiftung, das Projekt mit 8.000 Euro zu unterstützen.
Bohrung in der Angermayer-Halle
Nachdem zwei angesetzte Bohrtermine in 2015 wegen schlechten Wetters ausfallen mussten, geht es am 5. Juli 2016 endlich los. Ein Hubschrauber bringt das Bohrgestänge, einen Stromgenerator sowie Styroporkisten mit Trockeneis auf den Berg. Das Team folgt zu Fuß: Referenten und Höhlenführer des Vereins, der Höhlenklimatologe Prof. Andreas Pflitsch von der Uni Bochum und der Paleoklimatologe Prof. Valter Maggi von der Uni Mailand mit mehreren Mitarbeitern. Gegen 8 Uhr morgens kann die Bohrung in der Angermeyer-Halle beginnen. Sie reicht 8,5 Meter tief. Stückweise bergen die Forscher die zylinderförmigen und verstauen sie umgehend in luftdichten Kühlkisten. Vor Verschließen des Bohrlochs werden noch mehrere Temperatur-Logger in den tiefen Hohlraum eingebracht, um die Temperatur-Entwicklung tief im Eis verfolgen zu können.
Analyse im Kältelabor
Die Bohrkerne werden zur Analyse in das Kältelabor der Universität Mailand gebracht. Ein pflanzliches Relikt am Boden des Eises, das mit Radio-Karbon-Methode datiert wird, ergibt ein relativ jundes Alter von circa 100 Jahren. Damit erfüllen sich die Erwartungen der Forscher zwar nicht. Dennoch gewährt das Eis interessante Einblicke in das Höhlenklima. Beispielsweise lässt sich anhand von Dünnschliffen die Schichtenabfolge im Eis untersuchen. Diese liefert wiederum wichtige Hinweise darauf, welche Bedingungen während der Eisablagerung vorgeherrscht haben. Das Forscherteam hofft nun, in Zukunft weitere Eiskerne aus der Höhle entnehmen zu können und dabei auf deutlich ältere Eisschichten zu treffen. Puzzleteil für Puzzleteil sind Wissenschaftler überall auf der Welt dabei, Erkenntnisse zu den klimatischen Bedingungen der Vergangenheit zu sammeln. Denn so können sie auch die aktuellen Klimaentwicklungen besser verstehen und beurteilen.