Gefährliche Freisetzung - Neue Gentechnik auf dem Vormarsch!?

Gentechnik hat sich in der europäischen Landwirtschaft nie durchgesetzt – doch das könnte bald vorbei sein. Die EU-Kommission drängt darauf, Pflanzen aus sogenannter Neuer Gentechnik (NGT) weitgehend freizugeben. Unabhängige Forschung dazu, welche Risiken das für Ökosysteme und Verbraucher:innen birgt, gibt es kaum. Die Umweltstiftung Greenpeace unterstützt Testbiotech, eines der wenigen unabhängigen Forschungsinstitute im Bereich Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung, diese Lücken zu füllen und mögliche Folgen und Gefahren der neuen Gentechnik zu untersuchen.

In Japan ist es bereits so weit: Dort sind seit Anfang 2024 genveränderte Tomaten im Verkauf. Die Tomaten haben einen stark erhöhten Gehalt an Gamma-Aminobuttersäure und sollen, wie der Hersteller wirbt, eine beruhigende und schlaffördernde Wirkung haben. Auch Reis, der mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren verändert wurde, soll in Japan bald kommerziell angebaut werden – und könnte, wenn sich die EU-Kommission mit ihren derzeitigen Plänen durchsetzt, auch in Europa ohne weitere Risikoprüfung verkauft werden.

Grafik © Testbiotech

In der Biotechnologie hat es in den letzten Jahren große Umbrüche gegeben: Seit der Entdeckung von CRISPR/CAS – einem neuen Verfahren, das es erlaubt, das Erbgut viel gezielter zu verändern als zuvor – hat die Branche einen Boom erlebt. Nun versucht sie, die Chance zu nutzen und Gentechnik endlich auch in Europa salonfähig zu machen.

Denn obwohl es gentechnisch veränderte Pflanzen seit mehreren Jahrzehnten gibt, haben sie sich in der EU nie wirklich durchgesetzt. Verbraucher:innen haben sie mehrheitlich abgelehnt, und Risikoprüfungen und Kennzeichnungspflicht erschwerten es, gentechnisch veränderte Pflanzen im großen Maßstab einzusetzen. Jetzt argumentieren Befürworter:innen der NGT, diese sei gar keine Gentechnik. Das Verfahren gleiche natürlichen Prozessen – und Pflanzen, die mit Hilfe der NGT verändert wurden, sollten, so die Forderung, gleich behandelt werden wie Pflanzen aus konventioneller Zucht.

Nachhaltige Gentechnik?

Die EU-Kommission folgt dieser Argumentation: Derzeit wird in der EU eine neue Richtlinie für gentechnisch veränderte Pflanzen ausgearbeitet. Der bisherige Vorschlag der Kommission sieht nicht nur vor, die bisher verpflichtende Risiko-Prüfung für Pflanzen aus NGT zu streichen. Er würde es auch ermöglichen, dass solche Pflanzen das geplante EU-Label für nachhaltige Landwirtschaft erhalten können. Denn die Hersteller:innen werben in vielen Fällen damit, dass ihre Produkte zur Nachhaltigkeit beitragen können.

Ein heikles Versprechen, wie die Erfahrungen mit der alten Gentechnik zeigen. Denn bei dieser haben sich die großen Hoffnungen, die mit ihr verbunden waren, nie erfüllt. Stattdessen sah man schon bald ungewollte Folgen: Schädlinge wurden gegen Insektengifte und Unkräuter gegen Herbizide resistent. Zudem verbreitete sich das transgene Erbgut in mehreren Fällen unkontrolliert über die Versuchs- und Anbauflächen hinaus, so bei Mais, Raps, Baumwolle und Gräsern.  Mehrfach kam es zu unerwarteten Wechselwirkungen mit der Umwelt , mit teils erheblichen Folgen.

Ungeplante Auswirkungen

So breiteten sich etwa bei der gentechnisch veränderten Soja-Sorte „Intacta“, die gegen das Herbizid Glyphosat resistent gemacht wurde und gleichzeitig ein Insektengift produziert, pflanzenschädigende Schmetterlingsraupen stärker als in anderen Feldern aus. Als Ursache gelten spezielle Unkräuter, die sich an das Herbizid angepasst hatten – und sich für die Raupen besonders gut als Futter eigneten. Zudem schadete das Gift, das die veränderten Sojapflanzen produzierten, den Raupen nicht, sondern schien deren Aktivität im Gegenteil sogar zu steigern.

„Die behaupteten Vorteile haben sich oft in ihr Gegenteil verkehrt“, sagt Christoph Then, der Geschäftsführer von Testbiotech. Solche unerwarteten Folgen könne man aber nur herausfinden, wenn man nicht nur die Eigenschaften der einzelnen gentechnisch veränderten Pflanzen untersuche, sondern auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Organismen, ebenso wie die systemischen Auswirkungen auf die Umwelt.

Genau dazu gibt es aber trotz der großen Bedeutung des Themas kaum Forschung. Testbiotech ist eines der wenigen unabhängigen Forschungsinstitute, das, unterstützt von der Umweltstiftung Greenpeace, zum Ziel hat, das zu verändern: Mit seiner Arbeit will es erreichen, dass die Risiken alter und neuer Gentechnik für Ökosysteme untersucht werden – und dass sie sowohl in Fachkreisen als auch bei den politischen Entscheider:innen mehr Aufmerksamkeit bekommen. Denn die Risikoprüfung, die die EU derzeit im Fall von gentechnisch veränderten Pflanzen verlangt, bezieht sich nur auf die einzelne Pflanze. Viele Risiken auf der Ebene von Ökosystemen, so Then, lassen sich auf dieser Ebene aber nicht erfassen: „Was passiert, wenn sich zwei veränderte Pflanzen kreuzen und neue Eigenschaften entwickeln? Welche Auswirkungen hat es auf Ökosysteme, wenn viele solcher Pflanzen eingebracht werden? In Deutschland und Europa gibt es derzeit kein einziges Projekt, das das untersucht.“

Mit Forschung und Aufklärung gegen die Risiken der Gentechnik

Diese und weitere Fragen will Testbiotech durch ein dreijähriges, von der Umweltstiftung Greenpeace finanziertes Forschungsprojekt bearbeiten. Ein eigens dafür angestellter wissenschaftlicher Experte stellt den Stand der Forschung zusammen und wertet die bisherigen Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen aus. Darauf aufbauend erstellt er Risiko-Szenarien für mögliche Auswirkungen der NGT. Diese Szenarien zeigen, dass die rasche Freisetzung vieler gentechnisch veränderter Pflanzen die Ökosysteme stark belasten und die Nahrungsnetze gefährden kann – wichtige Ergebnisse, die auch in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.

Bei dem Projekt geht es jedoch nicht nur darum, aufzuzeigen, wo es Wissenslücken gibt und im Sinne des Vorsorgeprinizps dringend mehr Forschung nötig wäre. Ziel ist vor allem auch, konkret etwas dagegen zu unternehmen, dass NGT-Pflanzen vorschnell zugelassen und freigesetzt werden.

Dafür bereitet Testbiotech die komplexen Informationen über die NGT so auf, dass sie auch für die breite Öffentlichkeit verständlich sind. Das Institut hat nicht nur Broschüren erstellt, die unter anderem zeigen, dass viele der Nachhaltigkeits-Versprechen einzig auf den Behauptungen der Hersteller:innen beruhen – und damit eine Form der Verbrauchertäuschung darstellen. Auf seiner Homepage hat Testbiotech auch eine eigene Unterseite zum Thema Technikfolgenabschätzung eingerichtet. Auf dieser finden sich auch Erklärvideos, in denen es neue und alte Verfahren der Gentechnik und deren Risiken verständlich darstellt, sowie die Möglichkeit für interessierte Leser:innen, im Rahmen von Mitmachaktionen direkt aktiv zu werden: Etwa indem sie einen Brief  oder eine Mail an die Spitzenkanditat:innen der deutschen Parteien verschicken.

Denn das ist das zweite große Anliegen von Testbiotech: sich gezielt an politische Akteure zu wenden, um sie über systemische Folgen der NGT aufzuklären und ihnen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. Derzeit sind das vor allem die Abgeordneten des EU-Parlaments, die über die Freigabe der NGT entscheiden müssen. Anfang 2023 stellten die Wissenschaftler:innen von Testbiotech ihren Bericht zur Technikfolgenabschätzung im Fall der Neuen Gentechnik bei einem Workshop im EU-Parlament vor, an dem rund 200 EU-Politiker:innen und Expert:innen sowie VertreterInnen von NGOs teilnahmen. Weitere Workshops in 2023 und 2024 fanden inhaltlich ebenfalls großen Widerhall. Inzwischen wird Testbiotech nicht nur aktiv von Abgeordneten angefragt, wenn sie eine fundierte Einschätzung zur NGT suchen – die Forschungsergebnisse des Projektes haben auch Eingang in Änderungsvorschläge und kritische Nachfragen zum verhandelten EU-Gesetz gefunden. Zwar hat sich 2024 im EU Parlament eine Mehrheit für die Deregulierung von NGT-Pflanzen ausgesprochen. Aber anders als befürchtet, wurde kein entsprechendes Gesetz dazu beschlossen. Nach der Wahl zum EU-Parlament geht die Debatte weiter. Es gibt also noch Chancen, dass die von der Umweltstiftung unterstützte Arbeit von Testbiotech dazu beiträgt, eine weitgehende Deregulierung der Gentechnik auf europäischer Ebene noch zu stoppen – und zu verhindern, dass auch in Europa bald gentechnisch veränderte Tomaten in den Supermarktregalen liegen.